Baumhaus an der Mauer

Es ist eine deutsch-türkische Geschichte, die, hätte sie sich ein Schriftsteller ausgedacht, sie unbedingt in Berlin spielen müssen, nicht nur können. Nur die Hauptstadt mit ihrer Teilung in Ost und West konnte diese Gemengelage, und damit das Baumhaus, entstehen lassen, doch von Anfang an:

Als die Mauer 1961 gebaut wurde, waren die Zuständigkeiten für die Grundstücke in Berlin eigentlich klar geregelt, auf der einen Seite DDR, auf der anderen Seite BRD. Doch ganz so klar waren sie dann doch nicht. So gab es und gibt es immernoch, eine Verkehrsinsel zwischen Bethaniendamm und Marienplatz. Die Mauer wurde entlang des Bethaniendamms gebaut, der von da an im Osten lag. Die Verkehrsinsel aber, die bis dahin die Zufahrt vom Marienplatz zum Bethaniendamm regelte, gehörte von Rechts wegen auch zur DDR, lag nun aber auf der Seite der BRD. Niemand fühlte sich dafür zuständig und so verkam die ehemalige Verkehrsinsel, ihrer Aufgabe durch die Mauer beraubt, fast 22 Jahre lang zum illegalen Müllabladeplatz.

Aus der Müllhalde wird ein Schrebergarten

Im Jahr 1980 zog der ursprünglich aus Mittelanatolien stammende Türke Osman Kalin mit seiner Familie nach Berlin. Er war jedoch schon seit 1968 in Deutschland, mit Stationen in Stuttgart und Mannheim. Kalin, sechsfacher Vater, entdeckte als Rentner im Jahr 1983 das Grundstück an der Mauer und befreite es vom Müll, um darauf Gemüse anzubauen. Bald gehörte auch eine kleine Gartenhütte dazu. Den westlichen Behörden war es egal, war ja nicht ihr Grundstück, und den Grenzwächtern jenseits der Mauer auch. Das Gartenhaus durfte nur nicht höher als die Mauer gebaut werden und er erhielt von der DDR sogar eine Nutzungsgenehmigung.

Dann kam 1989 die Wende und plötzlich war die Mauer weg. Die ehemalige Verkehrsinsel wurde wieder zur aktiven Verkehrsinsel, doch Kalin und sein Schrebergarten existierten weiter. Er baute die Anlage sogar aus und errichtete ein zweigeschossiges Haus. Es war jedoch nie ein Baumhaus, sondern zwischen zwei Bäume gebaut. Ein Brandanschlag im Jahr 1991 vernichtete zunächst die Anlage und auch der Bezirk Mitte wollte die Räumung, um Sanierungsarbeiten vorzunehmen. Doch Kalin weigerte sich und wurde dabei von den Anwohnern, der gleich daneben liegenden Kirchengemeinde und sogar vom Bezirksamt Kreuzberg unterstützt. Dem Bezirk Mitte ging unterdessen das Geld für die geplante Sanierung aus und es blieb alles beim alten.

Noch einmal ein Brandanschlag

Osman Kalin hatte das „Baumhaus“ wieder aufgebaut, doch leider fiel es im Jahr 2003 noch einmal einem Brandanschlag zum Opfer. Doch das beirrte den Rentner wenig. Wieder baute er es auf und inzwischen wurde das Baumhaus zur lokalen Berühmtheit. In den 2010er-Jahren übernahm Kalins Sohn Mehmet die Aufgabe, das Haus zu pflegen und instand zu halten. Osman Kalin selbst verstarb im Jahr 2018.

Heute, über 40 Jahre, nachdem ein fleißiger Mann aus einer Müllhalde einen Garten gemacht hatte, steht das Baumhaus immer noch. Inzwischen dämmert es in einem Dornröschenschlaf vor sich hin und die Zukunft ist ungewiss. Doch wäre es nicht angebracht, die Leistung und die Zähigkeit Osman Kalins in der Form zu würdigen, das es einfach bestehen bleibt?

Januar 2024

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